Frank Cramer über den natürlichen Fluss der Interpretation
Interview mit Gli Amici della Musica von Maria Dell
Maestro Cramer traf ich an der Semperoper in Dresden, wo er im Mai 2008 mit Mozarts Zauberflöte debütieren wird. In Italien dirigiert er seit vielen Jahren immer wieder mit grossem Erfolg bei Publikum und Kritik. Frank Cramer spricht nicht sehr gerne über sich selbst, aber so bald das Eis gebrochen ist, schenkt er mir ein Lächeln und wir beginnen das Interview.
Wann und wie begann Ihre Tätigkeit als Dirigent? Sie sind sicherlich nicht an einem Morgen aufgewacht und haben sich gesagt, nun will ich dirigieren ... gab es besondere Erfahrungen, die Sie zu dieser Entscheidung gebracht haben, wurden sie irgendwie von ihrer Familie beeinflusst oder von anderen Menschen, die Sie geprägt haben?
Als Fünfjähriger habe ich begonnen Klavier zu spielen. Meine Familie hat meine Begeisterung für Musik gefördert, mich aber nie zu irgendetwas gedrängt. Mit vierzehn Jahren ging ich auf ein Musisches Gymnasium und war gleichzeitig schon Jungstudent in den Fächern Klavier und Trompete an der Folkwang Hochschule Essen. Ich war ein sehr guter Pianist und Trompeter, aber insgeheim hatte mich der Beruf des Dirigenten schon damals fasziniert. Wenn möglich, ging ich in jedes Konzert. So ist der Wunsch, Dirigieren zu studieren langsam gewachsen. In einem Jugendkonzert der Essener Philharmoniker war The Unanswered Question von Charles Ives auf dem Programm, dieses wunderbar kleine Werk, in dem die Trompete aus der Ferne immer wieder die selbe Frage nach dem Sinn des Lebens stellt. Für diesen Solopart der Trompete wurde ich - damals 16 jährig engagiert. So lernte ich den Dirigenten des Konzertes kennen, und er wurde mein erster Dirigierlehrer...
Sie haben eine lange und solide Karriere hinter sich und ein nicht nur breites sonder auch bemerkenswertes Repertoire. Wollen Sie uns über die Grundstationen Ihrer Laufbahn erzählen?
Nach meinem Studium in Hamburg - prägend war für mich mein Lehrer Horst Stein - habe ich zunächst die klassische deutsche Dirigentenlaufbahn begonnen, und zwölf Jahre im festen Engagement an verschiedenen Theatern in Deutschland und Österreich gearbeitet. In dieser Zeit habe ich den Beruf gewissermaßen von der Pike auf gelernt, und mir vor allem ein umfangreiches Opernrepertoire erarbeitet. Seit meinem erfolgreichen Einspringen mit Aida im Sferisterio di Macerata 1989 arbeite ich als Gastdirigent in Europa, den USA, Ostasien und Südafrika, und habe eine Vielzahl von Konzerten mit Werken aus allen Bereichen des symphonischen Repertoires dirigiert. Inzwischen dokumentieren zahlreiche Rundfunk- Fernseh- und CD- Aufnahmen u.a. mit den Bamberger Symphonikern meine künstlerische Arbeit. Daneben unterrichte ich Orchesterdirigieren an der Musikhochschule Karlsruhe.
Wir haben einen Blick auf Ihre nächsten Termine geworfen, Konzerte in Seoul und in Jena, dann auch im Münchner Prinzregententheater mit dem Münchner Rundfunkorchester. Können Sie etwas zu den Programmen sagen?
Das größte und anspruchsvollste Werk der Programme sind Rachmaninows Sinfonische Tänze op. 45. Es ist seine letzte Komposition geschrieben 1940, drei Jahre vor seinem Tod. Rachmaninow bezieht sich hier in vielen Momenten auf seine früheren Kompositionen, wie ein Rückblick auf das eigene vergangene Leben. Es ist eine äußerst farbenreiche Musik, nachdenklich und wehmütig, aber auch voller rhythmischer Vitalität, schwierig und komplex, und nicht oft zu hören. Zuvor spielen wir die Sinfonie Nr.101 Die Uhr von Haydn, und das Oboenkonzert von Mozart. Bereits im letzten Jahr habe ich mit dem Korean Symphony Orchestra zusammengearbeitet, und wir haben Die Seejungfrau von Alexander Zemlinsky in einem Konzert mit Aufzeichnung durch das Koreanische Fernsehen aufgeführt. Das war eine außerordentlich gute Zusammenarbeit und ein riesengroßer Erfolg, so freue ich mich sehr auf ein Wiedersehen mit diesem wunderbaren Orchester! Es ist natürlich auch sehr reizvoll, dann gleich anschließend in Deutschland mit der Jenaer Philharmonie Rachmaninows Sinfonische Tänze noch einmal zu dirigieren. In diesem Programm spielen wir zuvor die Psycho-Suite von Bernard Herrmann und das Violinkonzert von Korngold, also alles selten gespielte Werke. Im Prinzregententheater dirigiere ich das Münchner Rundfunkorchester mit Werken von Rossini, Mozart, Rosetti, R. Strauss, Egk und Gershwin. Ein Programm, das hohe Flexibilität und stilistische Sicherheit sowohl vom Dirigenten als auch vom Orchester verlangt. Das Konzert wird live übertragen - das macht es besonders spannend.
Wie bereitet sich ein Dirigent für ein Konzert oder für eine Oper vor? Welche Ziele setzen Sie sich?
Mein Anspruch ist es immer, der Intention des Komponisten so nahe wie irgend möglich zu kommen. Ich bin da ganz altmodisch, und sehe das als die beste und vornehmste Pflicht eines Interpreten an. Meine eigene Persönlichkeit fließt ohnehin ganz ohne mein Zutun in meine Interpretation hinein. Ich studiere die Partitur sehr, sehr gründlich. Darüber hinaus möchte ich die Bedeutung des Werkes bei seiner Entstehung verstehen, also beschäftige ich mich mit dem gesamtem zeitgeschichtlichen Umfeld der Komposition, anderen Werken des Komponisten, etc. Wenn ich vor ein Orchester trete, tritt diese intellektuelle Auseinandersetzung ganz zurück, und die Komposition ist zuvor bereits ein Teil von mir geworden. So entsteht ein natürlicher Fluss, eine Selbstverständlichkeit der Interpretation...
Diese Frage haben Sie sicher oft gehört ... Dirigieren Sie lieber ein Konzert oder eine Oper? Gewiss ist die Oper anspruchsvoller, oder irre ich mich?
Ich habe da keine Präferenz. Eine Oper zu dirigieren ist im handwerklichen Sinne anspruchsvoller. Die Koordination mit der Bühne, das Eingehen auf die Besonderheiten der Sänger/innen, des Chores, eventuell große Entfernungen. Auf der anderen Seite hilft die Szene auch, als Operndirigent ist man eben nie allein. Hat man das Glück, mit wunderbaren Solisten/innen zu arbeiten, und handelt es sich noch um eine gute und in sich überzeugende Inszenierung, geht alles wie von allein. Im Konzert ist man ganz und gar allein verantwortlich. Da ist nur die Musik, das Orchester und man selbst. Das ist auf andere Weise anspruchsvoll und wunderbar.
Welche sind die Stärken Ihres Repertoires?
Entscheidend ist für mich die Qualität der Musik, eine Spezialisierung hat mich nie interessiert. Im Konzert sind meine bevorzugten Komponisten Mozart, Beethoven, Schubert, Brahms, Bruckner und Mahler. Genauso leidenschaftlich und in den letzten Jahren immer häufiger engagiere ich mich aber auch für Komponisten abseits des gängigen Repertoires wie z.B. die Spätromantiker Zemlinsky, Korngold, Stephan und Nielsen oder Komponisten wie Messiaen, Lutoslawski, Schönberg und Webern. In der Oper dirigiere ich besonders gerne Mozart,Verdi, Puccini, Wagner und Strauss. Als Pianist spiele ich am liebsten Bach.
Sie haben viel in Italien dirigiert. Man sagt, unsere Orchester seien undisziplinierter als jene anderer Länder. Haben Sie sich jemals anstrengen müssen, um sich vor dem italienischen Orchester Respekt zu verschaffen?
Im Gegenteil. Ich habe immer ausgesprochen gerne mit italienischen Orchestern gearbeitet. Egal ob in Turin, Verona, Genua, Florenz, Cagliari,Trieste oder Udine, um nur einige zu nennen. Was die italienischen Orchester für mich so besonders macht, ist ihre wunderbare Mischung aus hoher Professionalität und Emotion. Hinzu kommen Humor und eine angenehme Leichtigkeit in der Kommunikation, da macht die Arbeit einfach Freude!
Welche Eigenschaften Ihrer Arbeit passen am besten zu den Eigenschaften Ihrer Persönlichkeit?
Klarheit, Ernsthaftigkeit, Leidenschaft, Offenheit, Konsequenz und Humor
...Ein Wunsch für die Zukunft und eine immer anwesende Leidenschaft
Gesundheit und Liebe